Österreichs Postgeschichte — Gedanken zu einer Systematik

Österreichs Postgeschichte — Gedanken zu einer Systematik
Zunächst gilt es den Begriff Österreich in Zusammenhang mit posthistorischen Überlegungen zu definieren, da insbesondere die jüngere Generation keine gedanklichen Beziehungen mehr zu alt-österreichischen Dimensionen herstellt. In der Regel wird heute mit dem Österreich Begriff lediglich die kleinstaatliche Realität identifiziert, wie sie seit Ende des ersten Weltkrieges 1918 gegeben ist. Österreichische Postgeschichte integriert jedoch, analog der allgemeinen Geschichte des Landes, den gesamten Alt-Österreich Komplex des vorangegangenen Kaisertums seit 1804 und noch weiter zurück die habsburgischen Erblande im Rahmen des SAG RUM IMPERIUM ROMANUM NATIONIS GERMANIAE; letztgenannte bildeten das Fundament des österreichischen Kaisertums, welches nach Aufhören des SACRUM IMPERIUM im Jahre 1806 den abendländischen Kaisergedanken weitergetragen hat. In einem solchen historischen Gesamtbild sieht sich auch die Entwicklung des Postwesens eingefügt, dessen eigentliche Begründung auf Kaiser Maximilian I. zurückzuführen und derart durch bisher fünf Jahrhunderte zu verfolgen ist.
Postanaloge Einrichtungen mit Brief-, Paket- und Personentransport hat es natürlich im Wege des cursus publicus unter römischer Verwaltung auf heute österreichischem Boden der einstigen norischen und pannonischen Provinzen bereits vor rund zweitausend Jahren gegegeben, doch gingen jene Organisationsformen im Trubel der Völkerwanderung unter. Danach gibt es sozusagen einen weissen Fleck im posthistorischen Atlas, um dann etwa durchaus neu, ohne Erinnerungsbilder aus römischer Zeit — ab dem 12. Jahrhundert verschiedene individuelle Formen eines sporadischen Botenwesens bei Höfen, Klöstern, Städten und auch im Handel aufkommen zu lassen. Insgesamt eine Vorläufersituation, die in der Rückschau zwar logisch zu einem organisierten Postwesen hin tendiert, jedoch als solches nicht anzusprechen ist. Erst feste Routen mit festen Stationen und regelmässiger Bedienung, zusehends auch für alle Menschen nutzbar, konnten zur Basis eines echten Postwesens werden. Fundamentale Massnahmen hat hie für der römischdeutsche Kaiser Maximilian L, gleichzeitig österreichischer Landesfürst, gesetzt und darf deshalb mit vollem Recht als der Begründer des Postwesens im SACRUM IMPERIUM gelten! Diese Zuordnung der Gründung deutschen Postwesens unter der Herrschaft Maximilians I. hat analoge Geltung für die habsburgischen Erblande innerhalb des Reiches, für das nachmalige Österreich. In der Folge mache ich den Versuch, die Entwicklung unter den Gesichtspunkten posthistorisch-philatelistischen Sammelns periodisch aufzugliedern:

1.Periode: 1490bis 1722
Reichs- und Landesposten in Lehensverwaltung l Taxis und Paar sowie Nebenpostwesen (Lehenrössler, Metzgerposten) / Gebietszuwachs mit Böhmen und Ungarn / Stundenpässe als Dokumente früher Organisationsform / Kaiser- und Fürstenbriefe / Fehlen postamtlicher Vermerke.
Die Datierung 1490 leitet vom damals sicher bekundeten Postkurs zwischen der niederländischen Residenz Maximilians in Mecheln und der kaiserlichen Hofhaltung in Wien beziehungsweise Wiener Neustadt her; Schwenkpunkt nach Osten in diesem Basiskurs war Innsbruck. Die schon länger in kaiserlichen Diensten gestandene Familie Thurn und Taxis besorgte die Organisation dieses Kurses und erhielt in der Folge das Reichspostgeneralat, welches sie bis zum Ende des Reiches 1806 behalten sollte. Das Jahr 1490 bekundet aber auch nachweislich postorganisatorische Kontakte des Kaisers mit Städten im Reiche. Neben dem Reichspostwesen bilden sich bald auch secundäre Landesposten heraus, für welche innerhalb der habsburgischen Erblande der Name Paar Synonym werden sollte. Ähnlich den Taxis bereits geraume Zeit in kaiserlichem Kurierdienst tätig gewesen, kommen Mitglieder der Familie im 16. Jahrhundert vorallem als innerösterreichische Postmeister in Graz zu Bedeutung, um dann ab 1622 als Generalerblandpostmeister zu wirken. In letzterer Funktion wirkte die Familie bis 1722 als Lehensträgerund danach als leitende Staatsorgane bis in die napoleonische Zeit hinein. Wo sich Reichsund Landesposten überschnitten und allenfalls Differenzen heraufbeschworen wurden, dort amüsiert sich der historisch Interessierte heute. Dominierten die Paar's zwar auf erbländisch-habsburgischem Boden, so haben wir es aber daneben noch mit den Tiroler Taxis zu tun, die landespostalisch tätig waren, während in Vorderösterreich die Reichs-Taxis (ähnlich wie im später zugewachsenen Innviertel) alleine wirkten; überdies ist noch Salzburg mit seiner fürsterzbischöflichen Landespostorganisation eigenständig zu betrachten. Insgesamt weiten sich die Postkurse sowohl unter reichischen als auch erbländischen Aspekten aus, wobei für letztere insbesondere der Gebietszuwachs mit Böhmen und Ungarn in's Gewicht fällt. Kaiserliche Postämter in Venedig und Rom, beide um die Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet, markieren grenzüberschreitende Ausstrahlung des Reiches und haben auch enger unter habsburgischösterreichischer Sicht Bedeutung. Der Ausklang dieser ersten posthistorischen Periode datiert mit der Inkammerierung oder Aerarisierung (= Verstaatlichung) des erbländischen Paar'schen Postlehens durch Kaiser Karl VI. im Jahre 1722, die er als Landesfürst vollzog. Eine Spanne von mehr als 230 Jahren, die mehr den Historiker befasst als den Sammler, zumal auf den Briefen der Zeit postalische Amtsvermerke noch nicht üblich waren — verallgemeinernd kann man von der Periode der Kaiser- und Fürstenbriefe sprechen.

II. Periode: 1722 bis 1850
Übergang in staatliche Verwaltung / Postreformen führen zu neuzeitlichen organisatorischen Verhältnissen und Vereinheitlichung erbländisch-österreichischen Postwesens.
Die Inkammerierung 1722 ist gewiss ein praktikabler Zeitpunkt, um als posthistorisch interessierter Sammler in die bereits modernen Formen zustrebende Materie einzusteigen. Bald kommt es um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts zu den grossen Postreformen Maria Theresias und mit diesen zur definitiven Ausbildung eines geordneten Tarifwesens, mit welchem auch die ersten postalischen Herkunftsstempel verbunden sind, Einführung des Fahrpostwesens (Paketpost) und der Personenbeförderung mittels Postkutschen, weiteren Verkehrsverdichtung im Poststrassennetz bei gleichzeitiger Ausmerzung der letzten illegalen Nebenposten (Metzgerposten) und schliesslich Einrichtung lokaler Postorganisationen zur Ergänzung der grossen ärarischen Post. Es ergeben sich besondere Gesichtspunkte wie folgt:

a) Inkammerierung und Postreformen
b) Tarifwesen, einschliesslich Abstempelungen und Handvermerken
c) Lokale und regionale Posteinrichtungen (Wien, Graz, Prag, Ofen, Badener Landkutscher, Fussacher Botenfahrt).

Im Zuge aussenpolitischer und kriegerischer Ereignisse gibt es Gebietsveränderungen, welche postalischen Niederschlag finden und spezielle Gegebenheiten unter napoleonischer Herrschaft beziehungsweise Besatzung schufen:

d) Situation und Entwicklung in neuerworbenen Gebieten (Innviertel, Salzburg, Galizien, Bukowina, Dalmatien, Venedig)
e) Napoleonische Periode, einschliesslich der Inflation und deren tarifpolitischen Auswirkungen
f) Ende des SACRUM IMPERIUM 1806 und das neue Kaisertum Österreich seit 1804 / postalische Situation im Deutschen Bund, von bilateralen Postverträgen zum Deutsch-Österreichischen Postverein.

Die europäische Entwicklung nach dem Wiener Kongress brachte im Zuge handelspolitischer Notwendigkeiten auch postalische Initiativen ausserhalb der Grenzen des neuen Kaiserstaates, vor allem im Osmanischen Reich:

g) Posteinrichtungen im Ausland / Konstantinopel und das Osmanische Reich/ Österreichischer Lloyd / Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft / Liechtenstein / zeitweilig Krakau bis zur staatlichen Eingliederung.

Von den zwanziger Jahren her herrschte eine recht drängende Entwicklung bis zur Jahrhundertmitte, einer für Briefsammler unter verschiedensten Aspekten ergiebigen Zeit. Im Frühjahr 1850 klingt dann die sogenannte vorphilatelistische Zeit Österreichs aus.

III. Periode: 1850 bis 1918
Einführung von Briefmarken und später Ganzsachen / Moderne Technik bestimmt Beförderungsarten und Nachrichtenwesen l Innen- und Weltpolitik sorgen für tiefgreifende Veränderungen im österreichischen Postwesen.
Mit Beginn der sogenannten philatelistischen Zeit in Österreich bietet eine posthistorische Betrachtung des zeitlichen Ablaufes ein sehr dichtes und unter mannigfaltigen Aspekten interessantes Bild. Hat eine Rationalisierung des Tarifsystems zur Einführung der Briefmarke geführt, so führt die technisch geförderte Breitenentwicklung einerseits zu neuen Beförderungsarten und andererseits auch zu bedarfsbedingten neuen Postwertzeichenarten in Form von verschiedenen Ganzsachen. Wirtschaftspolitisch haben wir es in dieser Periode mit zwei Währungsreformen zu tun, innenpolitisch mit der Umorganisation des Kaiserstaates zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie und weltpolitisch schliesslich mit deren Zusammenbruch und Auflösung. Auch hier einzelne Bearbeitungsschwerpunkte:

a) Briefe und Ganzsachen / Frankaturen, Abstempelungen, Beförderungsarten (Bahnpost, Express- und Rohrpost, Rekommandation mit R-Stempel und R-Zettel, Schiffspost, Flugpost usw.)
b) Währungspolitische Massnahmen als Einflussfaktoren auf das Tarifsystem (1858 Wechsel von Conventionsmünze zur Österreichischen Währung und 1899 Wechsel von Gulden- zur Kronenwährung)
c) Der österreichisch - ungarische Ausgleich 1867 und seine innenpolitischen Folgen für das Postwesen.
d) Das Nachwirken österreichischen Postwesens in den Nachfolgestaaten der Monarchie nach 1918:

Italien: Lombardei, Venetien, Mantova, Küstenland mit Triest, Welschund Südtirol, Kanaltal
Jugoslavien: Slovenien, Kroatien, Dalmatien, Küstenland (Teile erst nach 1945), Militärgrenze, Bosnien-Herzegowina, Krain, Untersteiermark
Tschechoslovakei: Böhmen, Mähren, Österreichisch Schlesien, Slovakei, Karpatoukraine (Oberungarn)
Polen: Galizien und Lodomerien, einschliesslich Krakau
Rumänien: Siebenbürgen, Bukowina
Sowjet-Union (nach 1945): Alt-österreichische Gebiete von der Tschechoslovakei (Karpatoukraine, von Polen (Teile Galiziens) und Rumänien (Bukowina)
Ungarn: Beschränkung auf ungarisches Kerngebiet; 1921 Abgabe Deutsch-Westungarns an Österreich (Burgenland)

Mit Punkt d) tritt man als Posthistoriker zwar aus dem unmittelbaren österreichischen Geschichtsbild hinaus, welches jedoch für Sammler der Nachfolgestaaten posthistorisches Fundament sein sollte.

IV. Periode: 1918 bis 1938

Die Landkarte zeigt das Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie während der Zeitspanne 1850-1918
(aus "Spezialkatalog und Handbuch ÖSTERREICH 1850-1918", mit Genehmigung des Autors Dr. Ulrich Ferchenbauer, Spittelauer Lände 7/11, A-1090 Wien)

Österreichs Postwesen reduziert auf den republikanischen Kleinstaat / Staatswerdung l Inflation / Ständestaat / Anschluss an das Deutsche Reich 1938.
Die deutschen Kernländer der Monarchie bildeten nach Auflösung des Kaiserreiches einen republikanischen Bundesstaat, verloren eine Reihe von Gebieten noch an die Nachfolgestaaten, konnten jedoch Kärnten weitgehend sichern und DeutschWestungarn als Bundesland Burgenland der Republik einverleiben. Der Landesname musste über Bestimmung des Friedensvertrages von St. Germain von Deutschösterreich wieder auf Österreich geändert werden. Wirtschaftliche und weltanschauliche Probleme bestimmen die I. Republik und damit auch ihr Postwesen, welches 1938 in der Deutschen Reichspost aufgehen sollte:

a) Deutschösterreich 1918 bis 1921, einschliesslich der postalischen Situation in Kärnten und dem Burgenland, sowie in Südtirol
b) Österreich ab 1922, einschliesslich Inflation und Wechsel von Kronen- zur Schillingwährung 1925
c) Ende der I. Republik 1938 und Österreichs Post im Rahmen der Deutschen Reichspost bis 1945.

V. Periode: 1945 bis in die Gegenwart
Errichtung der II. Republik zu Ende des II. Weltkrieges / Besatzungsbedingte Postsituation l Zensur / Währungsreform / moderne Entwicklung.
Die Staatswerdung 1945 vollzog sich unter den Schwierigkeiten vierfacher Besetzung und fand dies Niederschlag auch im Postwesen, mit seinen zonalen Erscheinungen, der Zensur und beförderungsmässigen Einschränkungen. Dies sind die Schwerpunkte jüngster postgeschichtlicher Studien, welche die tariflichen Massnahmen in Zusammenhang mit der Währungsreform 1947 noch ergänzen können. Frankaturen und Abstempelungen können in der Folge auch den modernsten Sektor österreichischer Postgeschichte, bis unmittelbar an die Gegenwart heran, interessant gestalten.

VI. Österreichische Militär- und Feldpost
Historische Frühformen bis in die napoleonische Zeit / Militärgrenze / Bundesfestung Mainz / Feldzüge im XIX. Jahrhundert l Bosnien-Herzegowina / Marinepost in China / Weltkrieg I und II l UNO-Feldpost.
Eine besondere, zeitüberschneidende, posthistorische Studienrichtung, die in der Regel nicht umfassend, sondern nach bestimmten Einsätzen orientiert, Beachtung findet. Wenn wir hinter das Jahr 1490 zurücksehen, so erkennen wir, dass organisiertes Postwesen, ähnlich wie seinerzeit in Rom, seine Wurzeln im militärischen Nachrichtenwesen hat. Sowohl Taxis wie Paar verdienten sich ihre Sporen im militärischen Kurierdienst, Stafetten mit Pferdewechsel zwischen Kriegsschauplatz und Wiener Residenz schufen erste Erfahrungswerte für spätere Postkurse. Die Post unter den besonderen Verhältnissen militärischer Operationen beziehungsweise militärischer Verwaltungen, hat durch Dokumentation und Briefe hohes Sammlerinteresse bereits erfahren und reicht dies bis zu den aktuellen Feldposteinsätzen bei den österreichischen UN-Einheiten.

VII. Portofreiheiten
Begünstigte Personen und Institutionen / Hofbriefe.
Auch dies ein zeitüberschneidender Aspekt, der schwierig, weil langzeitig unübersichtlich, zu bearbeiten ist. Die Portofreiheit war ein Privileg, das jedoch vielfach ausgenutzt und verwässert wurde, woraus sich von Zeit zu Zeit Neufassungen ergaben. Ein besonderer Sektor ist mit den Hofbriefen des kaiserlichen Hauses gegeben. Überdies ist echte und nur scheinbare Portofreiheit zu unterscheiden, zumal viele Amtsbriefe (ex offoBriefe) ohne Frankatur aus Korrespondenzen von Dienststellen mit periodischer Abrechnung stammen. Da aber derartige Briefbelege praktisch jedem Altbriefsammler irgendwann begegnen ist eine gewisse Vertrautheit mit der Materie empfehlenswert.



Rüdiger Wurth

(geb. 1925 im Burgenland)

Rüdiger Wurth begann sein Studium nach Kriegsende und promovierte im Jahre 1949 zum Dr. phil. In der Folge war er freiberuflich als Fachjournalist tätig. Als Historiker befasste er sich seit zirka 1952 schwerpunktmässig mit österreichischer Postgeschichte. Seit 1978 gibt er als Konzentrat seiner jahrzehntelangen Studien die Reihe "Österr. Jahrbuch für Postgeschichte und Philatelie" heraus. Die historischfachschriftstellerische Arbeit Rüdiger Wurth's fand schon hohe Anerkennung, indem er das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich erhielt und 1983 in der BRD mit dem Sieger-Preis für Literatur ausgezeichnet wurde.