Österreichisch-schweizerische Postverträge (I)
I. Einleitung
Unter dem Aspekt bilateraler Vereinbarungen auf postalischer Ebene ist hinsichtlich der österreichisch-schweizerischen Beziehungen der 5. Juni 1773 als frühestes Datum zu registrieren. Die damalige rnaria-theresianische Postadministration war bemüht, innerhalb der habsburgischen Erblande alle Reste sogenannter "Metzgerposten" oder "Lehensrössler" (Postschwärzung durch private Fuhrleute) auszutilgen und musste bei diesem Bemühen unweigerlich auch auf die Fussacher Botenfahrt zwischen dem Bodenseeraum und Mailand stossen, eine vor allem in kaufmännischem Interesse gelegene Einrichtung. Da jedoch weder das erbländisch-österreichische noch das graubündnerische Postwesen in der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts analoge Leistungen auf jenem Kurse anzubieten hatten, traf man eine durchaus "österreichische" Lösung und band das Fussacher Unternehmen mit Verleihung eines annähernd halbamtlichen Charakters in das offizielle Postwesen ein. Das unter oben zitiertem Datum ausgefertigte Dokument (Hofkammerarchiv, Wien) sagt im Wesentlichen folgendes aus:
1) Die Beförderung der Briefschaften und Waren zwischen Mailand und Lindau wird, solange keine ordentliche Post durch das Graubündner Land geht, vermittels der reitenden Fussacher Boten auf der bisherigen Strasse über Feldkirch -- Chur - Chiavenna Como und Mailand wieder hergestellt.
2) Zu diesem Ende sollen die Speller von Fussach und ihre Mitgenossen, die bisher diese Botenfahrt versehen haben, in diesem Botenamte bestätigt werden………………..
3) Für die jetzigen Boten und ihre Nachfolger verbindet sich die Handelsgesellschaft zu Lindau, zur Sicherheit des Kommerz- und Korrespondenzwesens Bürge zu sein.
4) ... Die Boten waren sowohl dem Oberpostamt in Mailand, als dem in Bregenz eidlich verpflichtet. .
5) ... Wöchentlich einmaliger Botenweg in beiden Richtungen . . .
6) ... Mitnahme von Reisenden zugelassen, Anzahl der Pferde nach Bedarf und Belieben . . .
7) ... Im Bereiche der k.k. Postämter kein Briefsammelrecht, Beförderungspflicht der von den Postämtern übergebenen Sendungen; dagegen blieb ihnen frei "in den nahe am Bodensee gelegenen schweizerischen Orten und zu St. Gallen Briefe nach Italien zu sammeln oder sammeln zu lassen ..."
8) ... Auf der Strasse zwischen Feldkirch und Chur durften Briefe nicht gesammelt werden . . .
9) Die nach Mailand mitgebrachten Briefe haben sie beim dortigen Postamte abzugeben.
10) . . . Auf dem Rückwege musste das Mailänder Postfelleisen mit den Briefen für Lindau und graubündnerische nebst weiteren schweizerischen Orten übernommen werden. In Cleve und im Graubündner Land war ihnen das Briefsammeln gestattet. ...
11) ... In Feldkirch waren die mitgebrachten Felleisen abzugeben und Post für den weiteren Weg (Schweiz, St. Gallen, Lindau) zu übernehmen. ..
Aus diesen vertraglichen Positionen ist erkennbar, dass auf österreichischem Boden praktisch keine Freizügigkeit für die Fussacher Botenanstalt bestanden hatte (siehe § 7), während auf schweizerischem Boden, im Einzugsbereich des Mailänder Kurses, eine praktisch privatpostalische Funktion seitens der Fussacher gegeben war. Mit zunehmender Verbesserung der Postdienste auf schweizerischem Boden verlor jedoch das Fussacher Unternehmen zusehends an kommerzieller Basis, was schliesslich zu der Vereinbarung vom 8. Februar 1820 führte, wonach die nunmehr als Spehler und Weiss (Spehler = Speller) firmierende Botenanstalt subventioniert wurde: 800 Francs aus dem lombardischen Postgefälle, 600 Gulden R.W. von der Graubündner Postdirektion, 300 Gulden von den Churer Spediteuren und 700 Gulden vom Lindauer Kommerzienrat, jeweils als Jahressubvention zu verstehen. So ging es noch bis 1825, dann war auch diese subventionierte Form untragbar geworden und alle Vertragspartner entschlossen sich unter Datum des 24. November 1825 zur Auflösung des Fussacher Unternehmens; um den Übergang in das reguläre Postsystem fliessend zu ermöglichen, arbeiteten die Fussacher mit Hilfe monatlicher Subventionen noch bis Ende Mai 1826 weiter, danach war das endgültige Aus gegeben und der österreichisch-graubündnerische Postvertrag vom 1. August 1826 regulierte auf rein postamtlicher Ebene den Verkehr auf der bisherigen Fussacher Route. Bei entsprechender Kostenteilung zwischen der österreichischen Postverwaltung einerseits und jener Graubündens andererseits wurde ab 1826 eine zweimal wöchentliche Postverbindung zwischen den k.k. Posten in Vorarlberg, den graubündnerischen Posten und den wieder österreichischen Posten in der Lombardei errichtet. Der Kurs wurde teils kombiniert mit einer Fahrpost, teils mit Boten zu Pferde oder zu FUSS bedient; Postillione und Boten hatten in Uniform und versehen mit den Postemblemen ihren Dienst zu verrichten. Gleichzeitig war von der Hauptroute aus auch eine Verzweigung mit Anschlussrouten in eine Reihe von Tälern erfolgt. Über die Fussacher Botenfahrt hatte sich also ein österreichisch-schweizerisches Postsystem entwickelt.
Sind hier die ältesten vertraglichen Wurzeln zwischen Österreich und der Schweiz zu finden, so gab es im ersten Viertel des XIX. Jahrhunderts jedoch eine Anzahl weiterer Postvereinbarungen zwischen Österreich und Kantonen der Schweiz. Der Graubündner Vertrag nach Ende der Fussacher Botenfahrten war in jener Form nicht der erste, denn seit 1816 bereits war es zu verschiedenen vertraglichen Regelungen gekommen, wobei die Postverwaltungen von Schaffhausen, Chur, Zürich, St. Gallen, dann weiter von Bern, Genf und dem Tessin involviert waren. Seit 1847 verstanden sich die bilateralen Postverträge bereits auf Basis der Bundespost und hörten die Verträge Österreichs mit den einzelnen kantonalen Verwaltungen auf. Die österreichisch-schweizerische Vertragslage erfuhr in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts noch einige Wandlungen und mündete dann 1875 in den Weltpostverein. Letzteres hat wohl briefpostalisch multilaterale Regelungen gebracht, was jedoch besondere bilaterale Vereinbarungen zwischen Österreich und der Schweiz in der Folgezeit nicht ausgeschlossen hatte. Zur Zeit als die meisten kantonalen Verträge mit Österreich entstanden waren, hatte hier die Taxordnung vom 1. Juni 1817 Gültigkeit gehabt. Sie war durch 25 Jahre, also bis 1842, unverändert belassen gewesen und beruhte auf einem nach Poststationen gestaffelten Tarifsystem. Das hier interessante Tarifsystem mit dem Ausland fundierte österreichischerseits auf fünf Entfernungsstufen: bis 3, weiter bis 6, weiter bis 9, weiter bis 12 und über 12 Poststationen bis zum Grenzpostamt. Bei Auf- oder Abgabe waren danach in Österreich für einfache Briefe bis zu 1/2 Loth Gewicht (32 Loth = l Pfund) analog 2, 8, 10, 12, beziehungsweise 14 Kreuzer in Conventionsmünze zu bezahlen (bis 31. Jänner 1818 konnte auch noch in der alten Wiener Währung taxiert werden, woher sich jeweils mit 3 multiplizierte Taxwerte verstehen; zum Verständnis von damaligen Taxvermerken ist diese Möglichkeit zu beachten).
Die Darstellung der Postverhältnisse an Hand der einzelnen Verträge, einschliessend die Taxverhältnisse im grenzüberschreitenden Verkehr, soll Inhalt der nächsten Folgen dieses hier einleitend angesprochenen Sachthemas sein, wobei die Schwerpunkte im Briefmarkenzeitalter liegen werden, ohne jedoch die Entwicklung davor zu vernachlässigen.
Fortsetzung folgt