Die preussische Durchgangsgebühr für russische Sendungen 1723 - 1843

Versuch einer Deutung der rückseitigen handschriftlichen Zahlen auf Russlandkorrespondenz.
Laut Heinrich von Stephan kam eine erste regelmässige Postverbindung zwischen Preussen und Russland im Jahre 1723, und zwar als Briefverkehr zwischen Memel und Riga zustande (Geschichte der preussischen Post, S. 423). In dem uns verbliebenen Briefmaterial können wir erst ab ca. 1770 Briefe aus Russland finden, und zwar hauptsächlich aus Moskau, Riga, St. Petersburg und Mitau. Auf den Briefen nach und über Preussen hinaus, nach dem Thurn- und Taxischen Gebiet (das heutige Benelux), nach Frankreich, Holland und England gibt es in der Regel handschriftliche Eintragungsvermerke. Rückseitig sind zwei Zahlen durch einen Langstrich verbunden. Vorderseitig eine «Franco »- Bezeichnung, vielfach Emmerich für Holland und Wesel für Brabant (im damaligen Thurn und Taxis-Gebiet) und Frankreich. Die vorder- und rückseitigen Vermerke sind meist mit derselben Tinte geschrieben und daher voneinander abhängig. Der Franco-Vermerk bedeutet Zwangsfrankierung bis zur preussischen Ausgangsgrenze. Ein Hinweis darauf findet sich im Postvertrag zwischen dem kaiserlichen Reichspostamt und dem kgl. preussischen Generalpostamt vom 22.5. 1722:

§ 2) Da unterdessen das ehemalige kaiserl. RPA in der Stadt Ruremonde nach Maseyck übertragen wurde, sollen die kgl. PA zu Wesel, Cleve, Emmerich und an anderen benachbarten Orten alle Briefe nach Frankreich, Spanien, Mastricht, Aachen, Lüttig ... an das RPA Maseyck senden. Das kaiserl. RPA soll alle Retouren aus all diesen Gebieten in die preußischen Länder nach Halberstadt, Halle, Berlin und nach Hessen, Sachsen, Polen, Moskau, Petersburg oder an andere Orte, wohin die Briefe am schnellsten mit der kgl. preußischen Post bestellt werden, von dem kaiserl. RPA an das kgl. PA zu W e e s e l schicken ...» Im Vertrag vom 12. April 1755 in Berlin: § 2) Die preussischen PA zu W e e s e l, Cleve, Emmerich... sollen alle Briefe nach Frankreich, Spanien, Mastricht, Aacken ... an das kaiserl. RPA zu Maseick senden ... hingegen soll das kaiserl. RGPDallespa. .franz.. brabantischeund ndl. Briefe, die für die kgl. preußischen Länder nämlich ... Polen, Kur- Liv- und Rußland bestimmt sind, vom kaiserl. RPA an das preußische PA W e e s e l senden. § 3) ... Das kaiserl. RGPD gibt die Zusage, außer dem aus Frankreich kommenden sächsischen Gesandschaf tspaket ... keine anderen, am wenigsten Kaufmannsbriefe für ... Polen, Kur- Liv- und R u s s l a n d, künftig über Straßburg und Frankfurth am Mayn versenden zu lassen. § 4) ... daß einerseits jene Briefe, die von den kaiserl. RPA den preußischen PA zur Bestellung über das Land Cleve hinaus zugeführt werden, bis Cleve oder W e e s e l, andererseits jene von den preußischen PA an die kaiserl. RPA bis zum letzten preußischen Grenzpostamt zu frankieren sind ..

Die Deutung der rückseitigen Zahlen ist seit Jahren ein ungelöstes Problem für die Postgeschichtler. Intensive Forschung anhand des vorhandenen Materials sowie ein Kommentar von Heinrich von Stephan (siehe Sautter, Geschichte der deutschen Post, Teil I, Seite 431/2):

den Zusatzvertrag vom 2. Juni 1843 auch in den Postgebühren bedeutende Verbesserungen erreicht. Zunächst gelang es, den Zuschlag zu beseitigen, der in Rußland für alle ausländischen Briefund Fahrpostsendungen bisher erhoben worden war. Diese Sendungen wurden nunmehr denen des innern russischen Verkehrs gleichgestellt. Die Wichtigkeit des Zugeständnisses trat besonders hervor, als bald darauf Russland für seinen gesamten innern Briefverkehr ohne Unterschied der Entfernung den gleichmäßigen Gebührensatz von 10 Kopeken (3 Silbergroschen) einführte. Bisher hatte allein der russische Gebührensatz für die aus Preussen kommenden Briefe nach Moskau 15'/>, nach St. Petersburg ll'/2, nach Wilna 8'A, nach Odessa 20'A, nach Archangelsk 22'A, nach Nishnij Nowgorod 20, nach Tobolsk 25'/2, Silbergroschen betragen. Außerdem fiel der Grenzzuschlag fort. Für den Verkehr der Grenzorte unter sich wurde eine ermäßigte Briefgebühr von l Silbergroschen festgesetzt. Die preußische Durchgangsgebühr für die russischen Sendungen wurde nunmehr nach Durchschnittsentfernungen festgestellt, so daß sie nach Staaten, für die es verschiedene Leitwege durch Preußen gab, nur nach einem Satze zur Anwendung kam. Dabei wurden die preußischen Sätze der Durchgangsgebühr, die bisher bis zu 20 Silbergroschenfür das Lot betragen hatten, um mehr als die Hälfte ermäßigt und nach dem Maßstab des innern preußischen Posttarifs bemessen. Dieser neue Grundsatz der Durchschnittsentfernungen und Durchschnittssätze, der das Gebührenwesen vereinfachte und den Dienstbetrieb sowie die Abrechnung erleichterte, fand noch eine Ausgestaltung insofern, als auch die von Rußland an Preußen für Rechnung dritter Länder zu vergütenden Gebührenbeträge, das sogenannte Weiterfranko, nicht nach den verschiedenen Tarifen dieser Länder, sondern für jedes Land ebenfalls nach einem Durchschnittssatz bestimmt wurden. Auf diese Weise waren die russischen Postämter in den Stand gesetzt, bis zum Bestimmungsort freigemachte Briefe nach fremden Staaten anzunehmen.

führten zu folgenden Erkenntnissen: Die erste der beiden Zahlen ist immer unterschiedlich, also die Kartierungsnummer (Eintragung in der Karte oder im Register).
Die zweite Zahl bleibt in bestimmten Perioden entsprechend den jeweiligen vorderseitigen «Franco .. .»-Vermerken konstant und ist daher von der Entfernung abhängig. Dies lässt auf eine Portozahl schliessen, d.h. Vorauszahlung in Kopeken (10 Kopeken = 2 Gute Groschen 5 pf., ab 1825 10 Kopeken = 3 Silbergroschen), welche zwischen Russland und Preussen abgerechnet wurden. Ein weiterer Hinweis, dass die zweite Zahl eine Portozahl ist, liegt in der Gewichtsprogression. Sind vorderseitig l '/2, 2, 3 bis 5 Porten als Zahl ausgewiesen, dann erhöht sich rückseitig die zweite Zahl um den gleichen Faktor. Auch gelegentliche Zusätze »fr. Wes» vor der zweiten Zahl bestätigen diese Annahme (Abb. 1).

Ein Beispiel möge dies näher erklären 
(Drei Portobriefe von St. Petersburg über Hamburg nach Amsterdam):


Abb. 1: Brief aus Mitau vom 2.3.1783, mit Posthornstempel MITAU, Franco Wesel nach Verviers (damalig Thurn & Taxis), rückseitig: 27 fr Wes 451/2, Kartierungsnummer 27, 451/2 Kopeken bis Wesel.

Abb. 2: Brief aus St. Petersburg, 1812, über Hamburg mit Stempel RUSSIE P./HAMBOURG, 5 bis 51/2 Loth schwer, daher 5-faches Porto 68x5 = 340 Kop. rückseitig 5 340, Kartierungsnummer 5, 340 Kopeken.

Abb. 3: Brief  aus Hamburg 21.12.1827 nach Riga mit rückseitig 41 1/2 (Kop.) in roter Tinte, /95 Kartierungsnummer in braun.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass es auf der Korrespondenz nach Russland auch rückseitige Portovermerke in Kopeken gibt. Die Eintragungen sind immer in roter Tinte, die Kartierungsnummer in braun.

Es gibt folgende Briefe:

Eine Durchsicht der vorgefundenen Briefe ergibt zwei identische Porti: 1807 Schiedam - Riga: 45 '/2 Kop. Diese finden wir auf Briefen von 1783 - 1808 nach Holland, Belgien und Frankreich. 1827 Hamburg - Riga: 411/2 Kop., welche von 1823 - 1831 auf Briefen Hamburg - Riga vorkommen (Abb. 3).

Abb. 4: Brief aus Moskau, 12.4.1792, mit kyrillischem Stempel MOCKBA, nach Leipzig, rückseitig 25 38, (ausnahmsweise in brauner Tinte), Kartierungsnummer 25, 38 Kopeken.


Quellen und Literatur: Heinrich von Stephan: Geschichte der Deutschen Post. Martin Dallmeier: Thurn und Taxis Studien 9/II British Journal of Russian Philately 64 (Dec. 1987).

Aufstellung der Belege mit preussischer Durchgangsgebühr (Kopeke) für russische Sendungen.
Quellen: Sammlungen De Clercq, Muys, Huysmans, Van der Linden, 252. Köhlerauktion. Abkürzungen: Aachen: AC, Libau: LB, Memel: MM, Par Memel: PM, Moskau: MK, Riga: RG, Saarbrücken: SB, St. Petersburg: SP, FRANCO GRAENZE: FG. Die Zahlen auf Briefen aus Moskau sind immer in roter Tinte. Die l, \Vi bis 5-fachen Porti folgen jeweils nach den Einzelporti (Einzelporti fett gedruckt).



Abb. 5: Brief aus Moskau vom 24.11.1840 nach Wahlen über Tilsit und Berlin, rückseitig 611/2 Kopeken, Stempel AUS RUSSLAND/FRANCO TOUT, in «Graenze» handschriftlich abgeändert.